Am gestrigen Abend fand am HGO ein besonderes Podiumsgespräch statt, das das Wirken von Enno Meyer (1913–1996) würdigte. Der ehemalige Lehrer unserer Schule war eine Schlüsselfigur in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt und prägte maßgeblich die Erinnerungskultur in Oldenburg.
Ein Leben für die historische Aufarbeitung
Meyer widmete sein Leben der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Als spiritus rector der Aufarbeitung der Judenverfolgungen im „Dritten Reich“ in Oldenburg machte er sich besonders verdient. Zudem spielte er eine zentrale Rolle in den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen, die einen wichtigen Beitrag zur historischen Verständigung zwischen beiden Ländern leisteten.
Im gestrigen Podiumsgespräch rekonstruierte Dr. Burkhard Olschowsky, Historiker am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa, die Wege Meyers, welche zu dessen Wirkung führten. Als Wehrmachtssoldat an der Ostfront war Meyer, der etwas Polnisch sprach, 1942 für Interviews mit desertierten polnischen Soldaten zuständig. Deren Erlebnisse und sein späterer Kontakt mit einem Autor, der über Erfahrungen mit deutschen Besatzern veröffentlichte, trugen maßgeblich zu seiner Forderung bei, Konfrontationen aufzulösen und Perspektiven beidseitig zu betrachten – eine Forderung, die sich bereits 1946, in seinem ersten Jahr als Lehrer, in seiner Kritik am Polenbild in Schulbüchern zeigte. 1956 veröffentliche Meyer schließlich „47 Thesen“ über die deutsch-polnische Geschichte, die der Historiker Olschowsky als „einschlagend“ bezeichnete.
Enno Meyers Sohn Borchard Meyer-Renschhausen zeichnete in der Podiumsdiskussion die unermüdliche Arbeit seines Vaters an der Aufarbeitung der NS-Zeit Oldenburgs nach. Meyer, der selbst den Nachklang der Pogromnacht bei einem Berlinaufenthalt erlebt hat, recherchierte intensiv zu den 1933 in Oldenburg lebenden jüdischen Familien und veröffentlichte seine Ergebnisse in dem Buch „Wo sind sie geblieben?“ Er initiierte einen Gedenkstein am Ort der ehemaligen Synagoge in der Peterstraße – ein Anliegen, das 1962 von der Stadt zunächst abgelehnt wurde – und wurde Mitglied und zeitweise Vorsitzender der im selben Jahr gegründeten Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Oldenburg. Seine Arbeit und seine Veröffentlichungen bildeten nicht nur den Grundstein für die Oldenburger Erinnerungskultur, sondern wirken bis heute nach: So fußt z.B. das Engagement der Oldenburger Bürgerstiftung für das Aufstellen von Erinnerungsstelen an den letzten Wohnorten der jüdischen Familien auf Meyers Arbeit, und auch der Erinnerungsgang, der jährlich an die Pogromnacht in Oldenburg 1938 erinnert und den das HGO zuletzt gestaltete, zählt dazu.
Ein bleibendes Vermächtnis
Die Diskussion zeigte eindrucksvoll, wie Meyers Wirken bis heute nachhallt. Als ehemaliger Schüler Meyers ergänzte Uwe Hoffmann (Abitur 1961) diesen Eindruck und schuf das Bild eines Lehrers, der seine Schüler durch einen über den damaligen Lehrplan hinausgehenden Geschichtsunterricht prägte, indem er die Wichtigkeit der Reflektion und des kritischen Denkens vermittelte, um zu verstehen, wie Geschichte das Hier und Jetzt bestimmt. Hoffmann sagte, Meyer sei als Lehrer keiner „Gruppe typischer Lehrer“ zuzuordnen gewesen, er sei „eine Persönlichkeit eigener Art“ gewesen, die sich durch Bescheidenheit und Zugewandtheit ausgezeichnet habe, aber auch dadurch, „von sich überzeugt“ gewesen zu sein – eine Charakterisierung, aus der Hoffmann schließlich einen Appell ableitete: Meyer als Vorbild zu sehen, der sich voller Überzeugung engagierte.
Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von PD Dr. Beate Störtkuhl (Kunsthistorikerin am BKGE), die dazu beitrug, Meyers Vermächtnis aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Der Abend verdeutlichte einmal mehr, wie sehr Meyer das Verständnis für die Bedeutung der Erinnerungskultur in Oldenburg geprägt hat.
Auch für das HGO, an dem Meyer bis in die späten 70er Jahre unterrichtete, war diese Podiumsdiskussion der Auftakt zu einer weiteren Auseinandersetzung und Würdigung dieser Oldenburger Persönlichkeit. Wir danken den Teilnehmern des Podiumsgespräches herzlich für ihren Besuch am HGO und die vielseitigen Einblicke. Ein Dank geht auch an die zahlreichen Gäste – darunter viele Weggefährten Meyers: ehemalige Lehrer und Schüler, die in netten Gesprächen Erinnerungen und Anekdoten mit uns teilten.
Klg