- Wie sichtbar ist das jüdische Leben in unserem Alltag?
Die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Religion bei Kathrin Müller (Herbartgymnasium) nahmen vom 20. bis zum 22. August an dem Fotoworkshop „Auf den Spuren jüdischen Lebens“ teil.
Bei dem Projekt „Click&Walk“ geht es um den Aufbau einer „Europäischen Route des jüdischen Kulturerbes“ in Deutschland, wobei es vom Bundesministerium unterstützt wird. Bei dieser Route handelt es sich anstelle von einer Strecke um ein Netzwerk, welches es bereits seit 2004 in 17 Ländern gibt. Deutschland gehört bisher noch nicht dazu. Ziel dieses Projektes ist es, auf jüdisches Leben aufmerksam zu machen, es zu verstehen und es anzunehmen bzw. anzuerkennen.
Begleitet werden die Schülerinnen und Schüler vom Fotokünstler Uwe Stelter aus Hannover, der ihnen die Fotografie und ihre verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten näher bringt. Außerdem gibt Anke Biedenkapp vom Verein Global Partnership Hannover den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das jüdische Leben, die jüdische Kultur und vor allem in die jüdische Vergangenheit.
Am Montag begann der Workshop mit einer Einführung in die Fotografie. Dabei hat Herr Stelter auf die verschiedenen Perspektiven und Darstellungen hingewiesen. Nach einem historischen Überblick über das Judentum ist unser Kurs zu dem alten jüdischen Friedhof in die Dedestraße gefahren. Da Männer jüdische Friedhöfe nur mit einer Kippa oder anderen Kopfbedeckung betreten dürfen, mussten die Schüler unseres Religionskurses eine Kopfbedeckung tragen.
Am Friedhof angekommen, ging es direkt mit dem Fotografieren los. Bereits die Außenmauer und die Laternenpfähle mit Aufschriften, wie beispielsweise „Gegen Antisemitismus“, boten die ersten Einblicke in das jüdische Leben. Auf dem Friedhof wurden wir von Frau Heger herumgeführt, die die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Oldenburg ist. Sie erklärte uns unter anderem, dass man anstelle von Blumen Steine auf die Gräber lege, da diese ein Zeichen des Besuches und der Anteilnahme seien. Außerdem erinnern diese Steine an den Auszug aus Ägypten und die Wanderung durch die Steinwüste. Ein weiterer Unterschied zum Christentum ist, dass jüdische Gräber ewig bestehen bleiben und somit nie entfernt werden.
Auf dem Friedhof befindet sich zudem eine Trauerhalle, die weitere typische Motive/ Merkmale, wie beispielsweise den Davidstein oder die Menora, aufweist.
Am Dienstag wurde das Projekt um 9.00 Uhr an der Synagoge in der Leo-Trepp-Straße fortgeführt. Diese Synagoge steht direkt neben dem Gemeindehaus und wird von Schranken, die üblicherweise den Verkehr regulieren, umgrenzt. Frau Biedenkapp und Herr Stelter haben uns auf die Sicherheitsvorkehrungen der Synagoge aufmerksam gemacht und uns erklärt, dass diese notwendig seien, um den Juden in ihrer Synagoge Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Trotz der Angst vor Anschlägen oder Ähnlichem hat die jüdische Gemeinde Oldenburgs uns erlaubt, die Synagoge von außen zu fotografieren. Die Synagoge ist im Großen und Ganzen eher schlicht, weist aber viele jüdische Merkmale auf. Die Pflastersteine vor der Synagoge stellen zum Bespiel den siebenarmigen Leuchter, die Menora, dar. An der Synagoge ist der Schmuckstein, der bereits in der ersten Synagoge vorhanden war, angebracht. Außerdem befindet sich dort eine Büste des Landesrabbiners Leo Trepp. (Dieser war der Rabbiner von 1936 bis 1938 und wurde in der Pogromnacht in das KZ Sachsenhausen deportiert. Er kam aus dem Konzentrationslager wieder frei und wanderte nach Amerika aus, kam aber immer wieder nach Oldenburg zurück.)
Nach dem Besuch der Synagoge sind wir in die Peterstaße gegangen, wo wir das Mahnmal und die Gedenkwand fotografiert haben. Diese zwei Motive sind entscheidende Erinnerungen an die NS-Zeit. Die Gedenkwand zeigt Namen jüdischer Oldenburger, die dem Holocaust zum Opfer fielen, mit Wohnort und dem Namen des Konzentrationslagers, in dem sie jeweils inhaftiert waren und umkamen. Das Mahnmal steht an der Stelle, wo sich im 20. Jahrhundert die erste Synagoge und das jüdische Gemeindehaus mit jüdischer Schule befanden. Diese wurden in der Pogromnacht 1938 zerstört.
Wir Schülerinnen und Schüler bekamen daraufhin die Aufgabe, mithilfe der Gedenkwand die alten Wohnorte bestimmter jüdischer Mitbürger wiederzufinden und zu fotografieren.
Anschließend haben wir die Inschriftentafel an der Landesbibliothek besucht. Auf dieser wird gemahnt, dass so etwas wie die Pogromnacht und der Holocaust nie wieder geschehen dürfen.
Das letzte Ziel der Route war die Gerichtsvollzugsanstalt an der Gerichtsstraße. Aufgrund des Arrangements von Frau Biedenkapp war es uns möglich, das Gelände zu betreten und den Granitstein mit der Aufschrift „ERINNERUNG IST DIE GRUNDLAGE DER VERSÖHNUNG“ zu fotografieren.
Am Mittwoch haben wir unsere Fotos dem ganzen Kurs vorgestellt. Wie bereits von Herrn Stelter vermutet wurde, waren die Motive zwar oft gleich, jedoch die Wirkung und die Perspektive unterschiedlich.
Uns Schülerinnen und Schülern ist bewusst geworden, wie häufig wir an diesen Denkmälern und Erinnerungsstätten vorbei gehen, ohne sie richtig wahrzunehmen. Der jüdische Friedhof befindet sich beispielsweise mitten in einem Wohngebiet. Auf den ersten Blick oder beim Vorbeigehen ist jedoch nicht sofort zu erkennen, dass es sich um einen jüdischen Friedhof handelt.
Das Projekt „Auf den Spuren jüdischen Lebens“ hat uns unsere Stadt und ihre jüdische Vergangenheit und Gegenwart näher gebracht. Wir hoffen, dass die Ausstellung unserer Bilder dazu beitragen kann, das jüdische Leben sichtbarer zu machen, und für eine breitere Akzeptanz in unserer Gesellschaft zu sorgen.
Sarah Veeser